22.11.2019 | Blog

"Investieren in Krisenzeiten" – Grundsätzliche Überlegungen zum Hausverstand

Ein Szenario, das niemandem gefällt

Hohe Inflation, Währungsabwertungen, fallende Kurse in Folge psychologisch stark beeinflusster Finanzmärkte, verunsicherte Anleger und ein zusammenbrechender Arbeitsmarkt, der viele um ihre Einkommensquellen oder gar um ihre Existenzen zittern lässt. So oder so ähnlich könnte ein wirtschaftliches Umfeld aussehen, das nicht gerade angenehme Rahmenbedingungen bietet, wie sie durchschnittliche Investoren in Mitteleuropa schätzen.

Vorab… keine Angst! Wir sind aktuell weit entfernt von einem solch extremen Szenario. Soziale Spannungen, wie sie 2008 und 2009 ansatzweise in Griechenland und Zypern zu erkennen waren und die eigentlich die Folgen einer teils hausgemachten Finanz- und Wirtschaftskrise waren, sind unmittelbar nicht zu erwarten. Auch jene persönlichen Schicksale in manchen US-Haushalten, bei denen es im Zuge der Subprime-Krise – eigentlich Auslöser für die spätere Finanz- und Wirtschaftskrise – zu einer Verarmung so mancher Kreditnehmer gekommen ist, müssen wir zurzeit nicht fürchten. Jedoch sollte jeder Investor zumindest einmal in seinem Leben gewisse Extremszenarien gedanklich durchgespielt haben. Je nach Risikoneigung war der typische Anleger der letzten 30 bis 40 Jahre davon geprägt, nach Risikopyramiden mehr oder weniger erfolgreich sein Vermögen aufzubauen und zu diversifizieren. Sparbuch, Bausparen, die Lebensversicherung und eines Tages der Investmentfonds mit Anleihen oder Aktien oder gar einmal die einzelne Aktie des heimischen Unternehmens bildeten die wesentlichen Standbeine von Veranlagungs- und Vorsorgekonzepten. Wie sehr würde jedoch ein wirtschaftliches Extremszenario Einfluss auf unsere Veranlagungswelt nehmen?

Hohe Zinsen in Folge eines überaus starken Inflationsanstiegs wären wohl nur solange von Freude, solange das Geld auch noch einen gewissen Wert darstellt und weiteres Einkommen nachfließt. Sollten einmal die Realvermögen nicht mehr wirklich mit Preisentwicklungen mithalten können, dann würden Alternativen dringend benötigt werden. Generell gilt also, dass wir uns in Extremszenarien auch damit befassen müssen, welche Veranlagungsformen wieviel Schutz vor Geld- und Preisentwertungen bieten können, also auch real noch einen Wertzuwachs oder zumindest Werterhalt gewährleisten könnten. Traditionelle Anlageprodukte wären in so einem Szenario angegriffen und würden wohl leiden. Entweder durch stark ansteigende Zinsen oder aber durch das psychologische Erwartungsmoment an Finanzmärkten, das schon oft zu fallenden Kursen geführt hat. Rohstoffe und Edelmetalle aller Art würden – wahrscheinlich mit der einzigen Ausnahme Gold – ebenfalls unter Druck geraten. Bereits 2008 war diese Korrelation mit dem weltweiten Wirtschaftswachstum nachweislich festzustellen. Selbst in der Vergangenheit beliebte Produkte wie Lebensversicherungen, die darauf basieren, dass Gelder in Deckungsstöcken von Versicherungen mit unterschiedlichen Risikoszenarien veranlagt werden, sind davon nicht auszunehmen. Die Entwicklung hin zum Nullzins konnte bereits in den letzten Jahren anhand der fast nicht mehr wahrnehmbaren Rechnungszinse erschreckend deutlich mitverfolgt werden. Auch staatliche Prämien wie etwa beim Bausparen oder der staatlich geförderten Pensionszusage, welche sowieso in den letzten Jahren vom Gesetzgeber halbiert werden mussten, könnten in einem solchen Szenario möglicherweise weiter verringert werden oder aus budgetären Überlegungen gänzlich ausbleiben.

Der Druck, die in Europa oder auch anderen so genannten „entwickelten“ Ländern immer weiter ausufernden Staatsverschuldungen letztendlich eindämmen zu müssen, würde wohl das seine dazu beitragen, dass selbst Politiker mit einer unerschütterlichen Glaubenseinstellung an das System nicht mehr an schmerzhaften Einschnitten in der Gesellschaft vorbeikämen – starke Wählerreaktionen eingeschlossen. Alleine die Tatsache, dass wir heute über die potentielle Höhe negativer Zinsen diskutieren, sollte uns zumindest zu denken geben. Dies alles vor dem Hintergrund einer EZB, die sich dem Ziel, den Zinsendienst für die Verschuldungsgrade in den südlichen Ländern Europas niedrig und damit leistbar zu halten, offenbar ohne Wenn und Aber verschrieben hat. Ob wir uns die Rettung eines 2. Griechenland-Falles in Europa noch leisten könnten, kann mit guten Argumenten angezweifelt werden. Die Auswirkungen, die ein solcher Versuch auf unsere Währung Euro mit sich bringen könnte, wären unabsehbar und würden eventuell von jedem von uns in seiner Geldbörse verspürt werden.

Sachwert schlägt Geldwert

In solchen – zugegeben extremen – Szenarien und Annahmen würde es daher sehr darauf ankommen, ausreichend in Sachwerten investiert zu sein. Die philosophische Frage, ob Geldwerte (früher klar mit Cash-Veranlagungen wie Bargeldbeständen, Kontoguthaben oder Sparbüchern definiert) heute nicht sogar um den Wertpapierbereich zu erweitern wären (aufgrund der immer stärkeren Vernetzung der Märkte und damit größerer Anfälligkeit für psychologische Kurs-Effekte), wird zunehmend klar beantwortet. Substanzwerte wie Immobilien und von Börsenkursen losgelöste Direktinvestitionen in Unternehmen (Private Equity), die durch Preiserhöhungen wohl am Raschesten auf Inflation und Abwertung reagieren können, würden in so einem Umfeld sicher größere Chancen erwarten lassen, als herkömmliche Investitionen. Immobilien ist – zum Teil berechtigt – der Nimbus des all umfassenden Inflationsschutzes eigen. Dabei sind aber vor allem Direktinvestitionen gemeint, denn Immobilienveranlagungen in Aktien- oder Zertifikatsform können – wie die letzten 15 Jahre an Hand von Meinl European Land oder Immofinanz schmerzhaft aufgezeigt haben – denselben psychologisch induzierten Marktschwankungen und Gefahrenpotentialen an der Börse unterliegen. Sehen wir uns Rohstoffe und Edelmetalle genauer an, so repräsentiert Gold derzeit sicher das von der großen Mehrheit der Investoren meistgeschätzte Abwehrmittel gegen Inflation. Dabei liegt es im Auge des Betrachters, ob wir aktuell eine historisch gesehen hohe oder günstige Bewertung des Goldpreises erleben. Obwohl der Preis für die Feinunze in den letzten Jahren in einer Range von USD 1.000 und 1.350 gependelt ist, liegen wir aktuell noch weit von den Höchstständen des Jahres 2011 entfernt. Neuinvestitionen sollten aber prinzipiell vor allem unter dem Aspekt der Langfristigkeit betrachtet werden. In Extremszenarien könnte Gold so zur Lebensversicherung für andere Vermögenswerte mutieren, da in solchen Phasen durchaus starke Preissteigerungen winken, die Verluste in anderen Anlageklassen dann ausgleichen könnten. Dies begründet auch die – wenngleich wiederum psychologisch beeinflusste – beständige Nachfrage bei Privaten aber auch Institutionen bis hin zu den Notenbanken.

Selbst an Hand der Anlageklasse Immobilien kann man aber auch erkennen, dass ein „Zuviel“ des Guten sehr schnell des Guten „Feind“ werden kann. Längst realisieren Immobilieninvestoren, dass sie bei näherer Betrachtung ihres Gesamtportfolios dabei sind, nach früheren Übertreibungen etwa in Aktien eine weitere Übergewichtung, diesmal eben in Grund und Boden, aufzubauen. Es wird hier also klug sein, selektiv vorzugehen und insbesondere auch auf Zusatzeffekte wie steuerliche Rahmenbedingungen genau zu achten. Die so sehnlichst angestrebte Sicherheit könnte sich nämlich sonst einmal als trügerisch erweisen. Hierfür sei stellvertretend an die kreditinduzierten Immobilienblasen in Japan anfangs der 1990-er Jahre sowie in Spanien 2002 bis 2007 erinnert. Und denjenigen, denen dies noch nicht als Argument ausreichend erscheint, denen könnte man auch die fiskalinduzierte Immobilienblase in Irland ab dem Jahr 2000 vor Augen führen, wo bis heute 100.000 Wohnungen mit starkem Wertverlust im Vergleich zu früher leerstehend ein stummes Mahnmal bilden.

Was wir aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen können

Niemand möchte und kann der Anlageklasse Immobilien oder irgendeiner anderen Anlageklasse Ihre Berechtigung in vernünftigem Ausmaß absprechen. Heute geht es jedoch mehr denn je um Streuung der Assets und um die persönlichen Lernkurven der Investoren. Hier empfiehlt sich ein Blick auf die ganz großen Vermögen dieser Erde, beispielsweise die großen Family Offices, die meist unbemerkt von der Öffentlichkeit – rasch und mit dem notwendigen Weitblick – und immer mit einem Auge auf der Vergangenheit messerscharf Ihre strategischen Entscheidungen treffen. Nicht umsonst gelingt es gerade diesen großen Vermögen besonders gut, Verluste zu begrenzen und Teile Ihres Vermögens immer wieder durch die Unwägbarkeiten der Geschichte zu navigieren. Eine Aufteilung der Mittel hat dabei wohl um 1930 ganz anders ausgesehen als um 2020. Auch in den letzten 20 Jahren hat sich diese fortlaufend und massiv verändert. So wurde etwa der Anteil an Wertpapieren, der kurz vor der Jahrtausendwende oft mehr als die Hälfte des Vermögens ausmachte, von Investoren bis heute stark zurückgefahren. Auch Bargeld- und Cash-Bestände wurden merklich verringert. Andererseits entstanden neue Anlageklassen wie etwa Private Equity, die auch für Kleinanleger mittlerweile eine bedeutende und zu Recht immer intensiver genützte Anlageklasse darstellen. Denn „nur“ rund 20% aller Unternehmen weltweit können derzeit über verschiedenste Aktienbörsen erworben werden. Will man kurzfristige Kursschwankungen jedoch vermeiden, bietet sich eben eine Investition in Private Equity, also in nicht börsennotierte Unternehmen an. Selbstverständlich ist auch dort dasselbe Risiko anzusetzen wie bei Aktieninvestitionen über die Börse. Jedoch gibt es mangels einer Kursbewertung den täglichen Nervenkitzel nicht. Auch dieses Investment macht aber nur langfristig Sinn, weil dazwischen mangels Börsenbewertung eben auch kaum ein Exit-Szenario zur Verfügung steht. Andererseits erhält man dafür die Möglichkeit, an spannenden Entwicklungen von Unternehmen mit großem Potential viel direkter und unverfälschter teilzunehmen. Bis vor kurzem war diese Anlageform aufgrund des großen Kapitalbedarfs meist nur institutionellen Anlegern vorbehalten. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich jedoch durchaus auch für den Privatanleger ein attraktiver Zugang und damit eine Alternative mit hohem Renditepotential entwickelt, die es erlaubt, auch mit kleinen Beträgen Risikostreuung zu betreiben.

Zusammengefasst scheint es, dass eine Balance über viele Anlageklassen hinweg aktuell wichtiger denn je ist. Egal ob großes oder kleineres Vermögen, wirklichen Schutz in bewegten Zeiten bietet nur die Diversifikation. Je mehr, desto besser. Werterhaltung steht vor Wertvermehrung. Und oft könnte sich das als sicher qualifizierte Asset im Nachhinein als ein gefährliches Wagnis herausstellen. Das gilt auch und im Speziellen für Währungen, Cash und traditionelle Produkte. Man muss und sollte kein Apokalyptiker oder Endzeitprophet werden. Jedoch hat uns die Geschichte so viele Lernpotentiale hinterlassen, dass ein wenig Weitblick und Beschäftigung mit der Vergangenheit uns in Extremsituationen, die hoffentlich nie Realität werden, helfen könnten. Nicht mehr und nicht weniger sollte jeder, der über Vermögen verfügt – und sei es noch so klein – beachten. Ob die Asienkrise des Römischen Reiches um 66. v. Chr. oder die Tulpenkrise um 1637 oder sonstige Krisen in der jüngeren Vergangenheit: sie alle basierten auf Übertreibungen, Realitätsverweigerungen oder der Entscheidung, gewissen Dingen einfach keine Aufmerksamkeit oder Zeit widmen zu wollen. Lernen wir also aus ihnen, dass der Mensch sich und die materiellen Werte dieser Welt durchaus schützen kann, vorausgesetzt er entscheidet sich nicht für die Spekulation, dass „schon nichts passieren wird“. Wie auch immer ein Anleger wirtschaftliche Entwicklungen weltweit aktuell bewertet, wenn man auch einmal einen Blick auf extreme Entwicklungsszenarien wagt, wird deutlich, welche Bedeutung dem Element Diversifikation in unserer schnelllebigen Zeit zukommt und daß die Konzentration auf den guten alten Hausverstand niemals eine Modeerscheinung sein wird. Wer dies beherzigt, wird wohl auch in besonders herausfordernden Zeiten niemals gänzlich auf der Verliererseite landen bzw. die ganz großen Ausfälle in Bezug auf sein Vermögen vermeiden können. Insbesondere nachfolgende Generationen werden es uns übrigens angesichts immer geringer werdender Ressourcen für staatliche Versorgungsprogramme ganz besonders danken.

Risikohinweise